Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der demografische Wandel und der Fachkräftemangel „vom Himmel gefallen“ sind. Personaldienstleister erleben oft, dass Unternehmen kein griffiges Konzept und keine Strategie haben. Hinzu kommen wenig Veränderungsbereitschaft und viel zu späte Reaktionen. Oft verweist man auf den „engen Markt“ oder „dreiste Bewerber“. Das Interview führte Sabine Ursel mit dem Bonner Personalexperten Heiner Baerecke (Einwerk Consulting).
Einkaufsmanager in der Praxis: Herr Baerecke, oft klaffen Gehaltsvorstellungen von Arbeitgebern und Bewerbern weit auseinander. Das war vor einigen Jahren anders.
Heiner Baerecke: Ja. Die Gehälter sind überproportional gestiegen. Ich erlebe aber oft, dass beide Seiten unverhältnismäßig reagieren. Auf der einen Seite fordern manche junge Bewerber ein überzogenes Gehalt, das man normalerweise erst einige Jahre später anpeilen würde. Und manche Unternehmen haben ihre neue Situation noch nicht verinnerlicht. Sie können oder dürfen nicht mitgehen, obwohl ihnen die Marktsituation durchaus bewusst ist. Meist wird dann mit der allgemeinen Gehaltsstruktur argumentiert. Dass Einkäufer Savings für das ganze Unternehmen generieren, spielt keine Rolle. Es gibt kaum Konzepte, etwa für einen gestaffelten Gehaltsplan.
Einkaufsmanager in der Praxis: Wie sollte die „Generationenfrage“ behandelt werden?
Heiner Baerecke: Nicht nur die Gen Z, auch Ältere fragen zunehmend z. B. nach der 4-Tage-Woche. Unternehmen brauchen eine Strategie in Sachen WorkLife-Balance. Das ist längst keine Frage von ja oder nein mehr. Homeoffice-Modelle müssen angeboten werden, sonst ist man auf dem Kandidatenmarkt nicht wettbewerbsfähig. Detaillierte Arbeitszeitmodelle sind aber bisher noch in den seltensten Fällen ausgearbeitet.
Einkaufsmanager in der Praxis: Seit einiger Zeit wird die Expertise von „Oldies“ nachgefragt. Wie nehmen Sie das wahr?
Heiner Baerecke: Wir können es uns nicht leisten, auf das Knowhow eines beispielsweise 55-Jährigen zu verzichten, der heute vielerorts als „Oldie“ gilt. Wir werden wahrscheinlich ohnehin länger als bis 67 Jahre arbeiten müssen, weil das System in Deutschland sonst kollabiert. Ältere bringen einen wichtigen Erfahrungsschatz ein: Sie kennen den Markt, die Lieferantenlandschaft, Verhandlungspositionen, Friktionen. Es gilt, diejenigen zu finden, die noch immer in der Lage sind, flexibel und vorurteilsfrei zu agieren.
Man sollte aber nicht erwarten, dass ein Älterer sich etwa detailliert mit KI-Modellen auskennt. Und auch bei Themen wie dem Umgang mit CO2-Materie und Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz besteht bei allen − unabhängig vom Alter − erheblicher Schulungsbedarf, weil es noch keine hinreichenden Erfahrungen gibt. In der Belegschaft sollte es generell einen gesunden Generationenmix geben. Alle Vertreter lernen im Idealfall voneinander.
Einkaufsmanager in der Praxis: Das Onboarding wird generell unterschätzt. Was haben Sie damit erlebt?
Heiner Baerecke: Das ist ein komplexer Prozess, den viele Unternehmen nicht ernst genug nehmen, das gilt für große Unternehmen ebenso wie für KMU. Bei diesem Thema kommt es immer wieder zu Missstimmungen. Mal ist das Büro noch nicht klar, mal fehlt das passende Equipment. Man bietet keinen Einarbeitungsplan und hat keinen unterstützenden Begleiter bestimmt.
Ich kenne keinen Kandidaten, der aus solchen Gründen wieder gegangen ist, aber viele, die sich beschwert haben, weil sie sich nicht respektiert fühlen. Ein guter Start geht anders.
Die von mir geschilderten Erfahrungen deuten darauf hin, dass der Arbeitgeber auch andere Prozesse nicht professionell angeht.
Einkaufsmanager in der Praxis: Was raten Sie der Arbeitgeberseite bzw. der HR-Abteilung?
Heiner Baerecke: Ich richte mich mit meinem Rat auch an Einkaufsleiter, die leider oft von ihrer HR-Abteilung ausgebremst werden. Wer das Onboarding schlecht managt, hat in der Regel beim ganzen Bewerbermanagement viel Luft nach oben. Gehalt ist dabei nur eine Komponente. Oft sind schon bei der Stellenausschreibung Kriterien, Erwartungen und Benefits schwammig formuliert. Dann kann es im Gespräch zu Irritationen kommen.
Der Prozess dauert aus Sicht eines Bewerbers – und auch aus meiner Sicht – häufig viel zu lang. Oft vergehen Wochen zwischen dem ersten und zweiten Interview. Ein weiterer Knackpunkt ist dann auch die Vertragsabwicklung.
Einkaufsmanager in der Praxis: Ein Zauberwort ist Wertschätzung …
Heiner Baerecke: So ist es! Jeder sollte sich fragen: Was würde ich selbst erwarten, wenn ich mich bewerbe? Was würde mich positiv überraschen und für den potenziellen neuen Arbeitgeber einnehmen? Wertschätzung ist ganz wichtig: gegenüber der Position, gegenüber dem Menschen, gegenüber der zu erwartenden Arbeitsleistung. Zumal der Einkauf auch da ist, um zu retten. Es gilt schließlich, Lieferengpässe im Griff zu haben, beste Preise bei bester Qualität zu erzielen, das EBIT zu steigern, Risiken für das gesamte Unternehmen zu minimieren etc.
Die Bedeutung von Einkauf und Supply Management liegt eigentlich auf der Hand, aber die Protagonisten machen immer noch zu wenig Eigenwerbung. Auch dabei ist noch viel Luft nach oben.
Veröffentlicht in Einkaufsmanager in der Praxis KW 10-11/2024